Unser Verdauungstrakt bildet ein stark beanspruchtes Hochleistungssystem, das nur deshalb ein Leben lang gut funktionieren kann, weil es ständig regeneriert wird. Es muss extremen Belastungen wie der Säurebehandlung im Magen, der enzymatischen Verdauung im Dünndarm und der Besiedlung mit einer unüberschaubaren Vielfalt zum Teil pathogener Bakterien und anderer Mikroorganismen Stand halten. Zugleich muss es ein komplexes Gemisch unterschiedlichster Nährstoffe so aufschließen, dass diese über die Darmwand ins Blut aufgenommen werden können.
Das Verdauungssystem ist sehr robust. Es muss eine Unzahl von Beeinträchtigungen und Störungen tolerieren und kompensieren. Solange die Prozesse im Zuge des Abbaus der Nahrung ohne Probleme ablaufen, bemerken wir es in der Regel nicht. Erst wenn etwas aus dem Ruder läuft, fühlen wir uns in unserem Wohlbefinden gestört. Die Ursachen solcher Beeinträchtigungen sind vielfältig. Sie reichen von der individuellen genetischen Ausstattung über Unverträglichkeiten, Allergien und Vergiftungen, Keim- und Parasitenbefall bis hin zu physischen, psychischen und sozialen Faktoren. Nicht zuletzt hat unser Ernährungsverhalten entscheidenden Einfluss auf die Abläufe der Verdauung und die Funktionstüchtigkeit des Organsystems.
Dabei spielt nicht nur eine Rolle, was wir essen, sondern auch sehr entscheidend wie wir dies tun. Die Häufigkeit, die Verteilung und die Zusammensetzung von Mahlzeiten haben einen ebenso großen Einfluss wie die konsumierten Mengen oder physischer, psychischer und sozialer Stress. Das gilt umso mehr, wenn Menschen von Erkrankungen des Verdauungssystems betroffen sind. Das Essverhalten und die Konsumgewohnheiten können einen Krankheitsverlauf abmildern oder verschlimmern. Sie können eine Krankheit überhaupt erst herbeiführen oder deren Entstehung begünstigen.
Wir danken Frau Lisa Linder aus Lüdinghausen (Dipl. Oecotrophologin/ Ernährungsberaterin VDOE und Ernährungsfachkraft Allergologie DAAB) für die zahlreichen Anregungen und kritische Durchsicht zu diesem Beitrag.
Die Frage nach einer verträglichen Ernährung ist eine komplizierte Problemstellung, die nicht durch Pauschalrezepte zu lösen ist, sondern einer sachkundigen individuellen Anamnese bedarf. Eine professionelle Ernährungsanalyse erfasst die persönlichen Umstände in jedem Einzelfall. Sie berücksichtigt physiologische, psychische und soziale Aspekte und zielt darauf, eine strukturierte Gestaltung der Mahlzeiten vorzuschlagen, die das Wünschenswerte mit dem Machbaren zu verbindet. Dabei hat sich das Ernährungstagebuch als bewährtes Mittel zur Verdeutlichung der individuellen Essgewohnheiten erwiesen. Werden auftretende Beschwerden und Aktivitäten zeitgleich mit angegeben, kann das geschulte Auge Zusammenhänge beispielhaft erkennen.
Denn Nahrungsinhaltsstoffe, Zusatzstoffe und auch die Zusammenstellung von Lebensmitteln und Mahlzeiten haben Einfluss auf die Verträglichkeit. Nicht alles passt zusammen, manches steht sich gegenseitig im Weg. Anderes unterstützt sich wechselseitig in der Verträglichkeit, verlängert die Darmpassage und damit die Resorptionschance oder schont, weil nicht so scharf, die Schleimhäute. Physiologisch hochwertig und günstig für das Wohlbefinden ist zum Beispiel die Kombination von pflanzlichem und tierischem Eiweiß mit Kohlenhydraten und einem individuell angepassten Fettanteil. So verlängert sich die Verweildauer des Speisebreies im Magen, die Nahrung wird besser für die weitere Verdauung im Dünndarm vorbereitet und kann insgesamt dort effizienter stattfinden. Dies kann zu einer Entlastung des Dickdarmes führen.
Zucker hingegen passieren den Magen schnell. In großen Mengen eingenommen überschwemmen sie den Dünndarm und gelangen im Übermaß in den Dickdarm. Das fördert Wachstum und Gedeihen von bestimmten Bakterien, was einerseits Einfluss auf die Zusammensetzung der Bakterienflora hat und andererseits unangenehme Folgen, insbesondere Blähungen, hervorruft. Die wenigsten wissen, dass die Zuckeraufnahme im Dünndarm durch die Beigabe von Nahrungsbestandteilen gefördert oder gehemmt werden kann. So können zum Beispiel unverträgliche, fruchtzuckerhaltige Früchte durch die Beigabe von Sahne oder Quark auf einmal bekömmlicher werden.
Stress führt zur Ausschüttung von Stresshormonen, die im ganzen Körper verteilt werden und auch direkt oder indirekt über das vegetative Nervensystem auf das Verdauungssystem Einfluss nehmen. Das hat Auswirkungen auf die Säureproduktion im Magen, die Beweglichkeit des Darms und seine Durchblutung, aber auch auf die Wahrnehmung von Verdauungsvorgängen. So sinkt zum Beispiel die Darmdurchblutung unter körperlicher Belastung. Dadurch wird die Darmtätigkeit heruntergefahren und der Nahrungsbrei nicht mehr weitertransportiert.
Auch Genussmittel und Medikamente können Magen und Darm in Stress versetzen. Alkohol, Nikotin und Koffein stimulieren die Produktion von Magensäure. Alkohol belastet zudem die Leber, die den Abbau bewältigen muss. Säureblockierende Medikamente senken zwar zum Beispiel bei Sodbrennen die Säurebelastung, reduzieren aber zugleich die antibakterielle Schutzfunktion. Dadurch können Bakterien den Magen passieren, die dann weiter unten im Verdauungstrakt zu Problemen führen. Auf der anderen Seite gibt es Wirkstoffe wie das Antidiabetikum Metformin, die für ihre Nebenwirkungen auf das Verdauungssystem bekannt sind. Solche Nebenwirkungen können durch die Art der Ernährung verstärkt oder abgemildert werden.
Unverträglichkeiten aller Art schränken immer häufiger die Lebensqualität der Menschen ein, weil sie Stressreaktionen im Verdauungssystem auslösen. Hier kommt es sehr darauf an, dass eine korrekte Diagnose vom Facharzt gestellt wird. Vorschnelle Selbsteinschätzungen oder unprofessionelle Mutmaßungen helfen da nicht weiter. Nur die Abklärung der Ursachen liefert eine erfolgversprechende Basis für eine angemessene Ernährungsumstellung. Dabei bedeutet eine Unverträglichkeit im Gegensatz zu einer Lebensmittelallergie kein Totalverzicht. Es geht vielmehr darum, Hauptlieferanten ausfindig zu machen, diese in einer ersten Phase zu eliminieren, die Nahrung verträglich und ausgewogen zusammenzustellen, um dann in einer zweiten Phase über geeignete Nahrungskombinationen individuelle Toleranzen zu erarbeiten.
Das Ernährungsverhalten hat Einfluss auf die Ausprägung von Beschwerden, die auf Erkrankungen des Verdauungssystems zurückzuführen sind. Wenn die Diagnose gestellt und therapeutische Maßnahmen auf den Weg gebracht sind, können zusätzliche diätische Maßnahmen die Lebensqualität von Patienten verbessern sowie darüber hinaus Nebenwirkungen von Medikamenten abmildern. Das gilt insbesondere auch für chronische Erkrankungen.
Auch wenn beispielsweise keine spezifische Diät für Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa zur Verfügung steht, können Begleiterkrankungen und begleitende Beschwerden oft durch die Ernährung günstig beeinflusst werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Betroffenen zusätzlich unter einer Laktose-Intoleranz leiden. Aber auch hier bedarf es einer gesicherten Diagnose. Denn selbst die unbegründete Angst vor einer möglichen Intoleranz kann zu Gewichtsverlust und Mangelernährung führen, weil die Betroffenen sich einseitig und unzureichend ernähren.
Gerade bei chronischen Erkrankungen muss vorsorglich darauf geachtet werden, dass keine Mangelzustände entstehen, die weitere Krankheiten nach sich ziehen. Ernährungsbedingte Komplikationen wie das Eiweißverlustsyndrom bei CED-Patienten senken zum Beispiel den Albumingehalt im Blut. In der Folge kann Wasser in die Gewebe eingelagert werden und es entstehen Ödeme. Ein weiteres Beispiel: Bei Verzicht auf Milchprodukte im Zusammenhang mit einer Laktose-Intoleranz muss Kalzium substituiert werden, um der Entwicklung einer Osteoporose vorzubeugen.
Ernährungsmediziner, Diplom-Ökotrophologen und Diätassistenten verfügen über umfassende Aus-, Fort- und Weiterbildungen, die sie zu einer qualifizierten und sachlich begründeten Ernährungsberatung befähigen. Wer Beschwerden mit seiner Verdauung hat, sollte sich immer gut überlegen, welcher Quelle er sein Vertrauen schenkt. Ernährungspräparate und Nahrungsergänzungen sind für eine gesunde Ernährung normalerweise nicht erforderlich, es sei denn der Arzt hat einen Mangel festgestellt und eine entsprechende Verordnung vorgenommen. Diese Präparate können manchmal durch eine ungünstige Zusammensetzung Beschwerden sogar verschlimmern und sollten in Absprache mit einem qualifizierten Therapeuten eingesetzt werden.
Ernährungstherapie ist grundsätzlich eine Selbstzahlerleistung, die der Arzt auf Privatrezept verordnen kann. Bei ärztlicher Verordnung unterstützen die gesetzlichen Krankenkassen je nach Versicherer anteilig bis zu fünf Ernährungstherapie-Einheiten. Der Patient erhält einen Kostenvoranschlag, den er mit dem Verordnungsnachweis bei seiner Krankenkasse einreicht. Mit einer Abtretungserklärung kann der Ernährungstherapeut dann direkt mit der Kasse abrechnen. Der Ernährungstherapeut muss seine Qualifikation durch Zertifizierung bei einer von fünf Fachgesellschaften (VDOE, VDD, QUETHEB, DGE, VFED) nachweisen. Er muss sich alle drei Jahre rezertifizieren und sich regelmäßig fortbilden. Dadurch sind die Beratungen in der Regel auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand, neutral und produktunabhängig. Adressen für qualifizierte Ernährungsberater finden Sie im Expertenpool der o.g. Verbände.